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Sind wir, was wir denken?

Ein Strom von Gedanken fließt stets durch unseren Kopf. Wir müssen uns von diesem Strom aber nicht unkontrolliert mitreißen lassen. Achtsamkeit hilft uns den gegenwärtigen Moment zurückzugewinnen – immer wieder, stets aufs Neue. Denn diese Form bewusster Präsenz wird uns nie zur Gewohnheit. Nur durch regelmäßige Übung können wir den „Autopiloten“ unserer Gedanken abstellen.


Wem gehört mein Kopf?

Was spielt sich in Ihrem Inneren ab, wenn nichts geschieht? Stellen Sie sich bitte diese Frage und versuchen Sie dann, eine Minute lang keine Gedanken aufkommen zu lassen. Probieren Sie das jetzt!

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Wie haben Sie diese Minute erlebt? Wie gut ist es Ihnen dabei ergangen, wirklich nichts zu denken? Die Gedanken kommen und gehen, gewollt und ungewollt, angenehme und unangenehme Gedanken. Denken geschieht einfach. Wir haben oder bekommen Gedanken, aber wir sind nicht unsere Gedanken. Das ist die gute Nachricht.

Die weniger gute Nachricht: Unser Geist führt ein Eigenleben. Er denkt, plant, erwartet, bewertet, reagiert, fantasiert – ein endloser Strom an Aktivitäten, der scheinbar ganz automatisch, ohne bewusstes Zutun, abläuft. Es ist eine lebenslange Anstrengung, sich nicht einfach von diesem Strom mitreißen zu lassen und somit nicht in unserer Vergangenheit, nicht in unseren Konzepten, Ideen und Befürchtungen gefangen zu sein. Uns stattdessen jenen Moment zurückzugewinnen, den wir tatsächlich erleben, nämlich den gegenwärtigen Moment.

Es passiert leider nicht automatisch, und wir haben auch nicht gelernt, wie man das macht, wach zu sein für den Moment. Diesen Zustand, den wir Präsenz oder Achtsamkeit nennen, müssen wir uns erst mühsam erarbeiten.

Mitten im Leben und ganz bei mir

Viele haben die irrige Vorstellung, dass im gegenwärtigen Moment Sein eine spirituelle, esoterische oder selbsthypnotische Erfahrung ist. Aber es ist genau das Gegenteil davon!

Wir können Achtsamkeit leicht und schnell erreichen, wenn wir uns als ersten Schritt immer wieder daran erinnern, mit unserer Aufmerksamkeit zu unserem Atmen zurückzukehren. Wir können das jederzeit und überall üben, und zwar völlig unbemerkt von anderen. Wir brauchen dafür kein spezielles Ritual, wir müssen uns nur ganz bewusst die Frage stellen: „Wo ist mein Atem jetzt gerade?“.

Falls Sie Achtsamkeit in Ihrem Leben pflegen wollen, empfiehlt es sich, täglich eine kleine Meditation in Ihren Alltag einzubauen. Dazu eine kurze Anleitung:

Eine kleine Atem Meditation

Sie werden bald die Wirkung des so erreichten Zustands bemerken: Menschen vertrauen uns eher, wenn wir ihnen im Zustand der Achtsamkeit gegenübertreten. Babys und Kinder, sogar Katzen und Hunde bemerken ganz instinktiv, wenn wir wirklich geerdet und ganz bei uns sind, weil wir so auch ganz bei ihnen sein können.

Der achtsame Weg zur Selbsterkenntnis

Präzises und scharfes Denken ist eine äußerst wichtige Fähigkeit, die es zu entwickeln und vertiefen gilt. Aber mindestens genauso wichtig ist es, die Fähigkeit der Achtsamkeit zu üben. Wir können uns selbst viel besser kennenlernen, wenn wir die Bewegungen unserer Gedanken und Emotionen bewusst wahrnehmen, anstatt ständig Geschichten, Vorstellungen, Erwartungen und Ideen für unser Ego zu produzieren.

Sobald die Persönlichkeit geformt ist – Psychologen setzen das Alter zwischen vier und sechs Jahren an – vertieft sich unsere Aufmerksamkeit für jene Themen, die unseren Typ charakterisieren. Wir beginnen, Informationen selektiv aufzunehmen und wählen in erster Linie solche, die in die Weltsicht unseres Typs passen. Wenn wir das Enneagramm als Landkarte unserer Psyche nutzen, können wir mit entsprechender Achtsamkeit die Automatismen der Muster unseres Typs „in Aktion“ erkennen, und unsere Fixierung der Aufmerksamkeit bei Bedarf „umlenken“.

Neun Objekte der Aufmerksamkeit

Die neun Typen im Enneagramm haben neun unterschiedliche Schwerpunkte, auf die sie einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit unbewusst und automatisch lenken.

Typ Eins schätzt ab, was in einer Situation richtig oder falsch, gut oder schlecht ist, bewertet, will verbessern und sucht in allem den richtigen Weg.

Typ Zwei konzentriert seine Aufmerksamkeit auf Beziehungen und das Erwerben von Zuneigung durch das Eingehen auf die Bedürfnisse Anderer.

Typ Drei möchte Anerkennung, Leistungen und Erfolge und ist darauf fokussiert, den kürzesten Weg zum Ziel zu finden um möglichst effiziente Ergebnisse zu erzielen.

Typ Vier lenkt seine Aufmerksamkeit auf Gefühle, auf persönliche Beziehungen und idealisierte Erfahrungen von Qualitäten, die vermeintlich in seinem Leben noch fehlen.

Typ Fünf lenkt seine Aufmerksamkeit auf das Sammeln von Wissen und Information, um dadurch Orientierungshilfe und Schutz vor einer aufdringlichen Welt zu haben.

Typ Sechs tastet sein Umfeld nach Hinweisen auf versteckte Intentionen und eventuelle Gefahren und Bedrohungen ab, um diese im Vorfeld abwehren oder vermeiden zu können.

Typ Sieben verlagert seine Aufmerksamkeit auf optimistische Zukunftspläne, neue Umstände und Zusammenhänge, Spannendes und Angenehmes.

Typ Acht stellt die Frage „Wer hat hier Macht und Kontrolle?“ in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit und sucht nach Hinweisen auf potentiellen Kontrollverlust.

Typ Neun versucht Pläne und Einstellungen anderer zu ermitteln, um Konflikte zu vermeiden und in Harmonie mit seiner Umgebung zu sein.

Herr/Frau im eigenen Haus

Wenn es uns gelingt, durch Achtsamkeit dieses Aufmerksamkeitsmuster „in Aktion“ wahrzunehmen, haben wir auch die Wahl, dieses Muster zu unterbrechen. Wir können allmählich die Führung in unserem Inneren übernehmen, um so „Herr im eigenen Haus“ (Claudio Naranjo) zu sein.