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Unser innerer Kritiker kennt wenig Gnade

„Kein Mensch kann sich ohne sein Einverständnis wohlfühlen“, bemerkt Mark Twain. Wir sollten vielleicht richtigerweise sagen, kein Mensch kann sich ohne das Einverständnis seines inneren Kritikers wohlfühlen. Denn dieser geht ziemlich gnadenlos mit uns um.


Ein alter Bekannter, aber wenig geschätzt!

Auch wenn wir keine klare Vorstellung von ihm haben – über leidvolle Erfahrung mit dem inneren Kritiker können wir alle berichten! Er ist wie ein kleiner Kobold, der sich in unserer Psyche eingenistet hat und dort unerbittlich seine Funktion erfüllt: zu überwachen und zu bewerten, was in uns vorgeht. Er beurteilt, kritisiert, lobt – Letzteres tut er aber leider nur zu selten!

Der innere Kritiker besteht aus den verinnerlichten Anteilen von Erfahrungen, die wir mit unseren Erziehungspersonen gemacht haben. Ihre Aufgabe war es, uns ein Rüstzeug zu geben, mit dem wir unsere Kindheit unbeschadet überstehen und später unser Leben gut meistern sollten. Ihre tatsächliche oder vermeintliche Kritik hat sich dabei in uns festgesetzt – der innere Kritiker war geboren!

Aus der Zeit gefallen

Seine alte sinnvolle Aufgabe ist längst erledigt. Allerdings sieht er das nicht so! Er spricht nach wie vor ständig und auch ungebeten zu uns, beurteilt alles, was wir tun, und seine Stimme ist zu unserem ständigen Begleiter geworden.

Auch wenn wir ihm für seine einstige beschützende Rolle dankbar sind, könnten wir als Erwachsene oft auf ihn verzichten, zumal er ja unser Erwachsenwerden nicht mitvollzogen hat. Und trotzdem bleibt er der Hüter dessen, was wir als unsere persönlichen Werte und Maßstäbe erachten. Unser Denken, Tun und unsere Vorstellungen davon, wie die Dinge idealerweise sein sollten, messen wir an seinen Maßstäben. Was wir als falsch oder richtig empfinden, richten wir danach aus.

Zurück in die Kindheit

In unserer Auseinandersetzung mit dem inneren Kritiker fühlen wir uns oft wie ein Kind. Das ist auch verständlich, wurde doch diese Internalisierung von Elternfiguren in den frühen Kindheitsjahren geformt. Daher sind viele Aspekte des inneren Kritikers für eine zweijährige Person recht nützlich, nicht aber für eine erwachsene. Indem er aber seine Macht über uns wie über ein Kleinkind behält, schafft er viel Leid.

Wie sehr wir uns auch anstrengen, wir werden den Modellvorstellungen unseres inneren Kritikers nie entsprechen! Je hartnäckiger wir es versuchen, desto mehr leiden wir. Besiegen können wir ihn auch nicht, denn gegen innere Anteile kann man nicht gewinnen. Wie also können wir ihm auf Augenhöhe begegnen? Kann uns das Enneagramm dabei helfen?

Entmachtung des inneren Kritikers

Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit mit dem Enneagramm besteht zunächst darin, zu erkennen, welche Botschaften unser innerer Kritiker wie ein Mantra immer vor uns herträgt. Wenn wir präsent sind und unsere Aufmerksamkeit ganz ins Hier und Jetzt lenken, schaffen wir es, ihm zuzuhören, ohne ihm jedoch die Kontrolle zu überlassen.

Um seinen Einflüsterungen erfolgreich widerstehen zu können, wenn dies angebracht ist, hilft es, sein Hauptanliegen für unseren Typ zu kennen. So können wir uns auf seine Forderungen einstellen und sie entschärfen.

Was sagt mein innerer Kritiker zu mir?

Nach welchen Regeln, Werten, Standards glaubt sich jeder Typ richten zu müssen? Erkennen Sie die Botschaften Ihres inneren Kritikers?

Typ Eins

Du bist nur OK, wenn du das Richtige tust und wenn du die Dinge richtig tust. Beweise Vernunft und Verantwortung, setze dich für deine Werte und Normen ein, lebe nach deinen Idealen und Überzeugungen!

Typ Zwei

Du bist nur OK, wenn du anderen nahestehst und von ihnen geliebt wirst. Sei daher stets hilfsbereit und selbstlos! Erfülle die Bedürfnisse und Nöte der anderen, wenn du von ihnen Liebe und Anerkennung möchtest!

Typ Drei

Du bist nur OK, wenn du erfolgreich, bewundert und anerkannt bist. Sei tüchtig und strebe nach Erfolg. Die anderen müssen deinen Erfolg sehen, nur dann zählt er! Trachte danach, immer Sieger zu sein!

Typ Vier

Du bist nur OK, und wenn du deinen Gefühlen folgst und diese auch zeigst. Sie sind die einzige Wahrheit, der du Ausdruck verleihen musst!

Typ Fünf

Du bist nur OK, wenn du mehr weißt als die anderen, wenn dein Kopf mehr Informationen und Ideen verarbeitet. Deine Umgebung stellt zu viele Anforderungen an dich – du musst dich davor schützen.

Typ Sechs

Du bist nur OK, wenn du tust, was von dir erwartet wird und du Probleme schon im Vorfeld erkennst. Streng dich an und finde heraus, wo Gefahren lauern und was die Erwartungen der anderen sind!

Typ Sieben

Du bist nur OK, wenn deine Erwartungen erfüllt werden – wenn nicht hier und jetzt, dann in der Zukunft und woanders. Bleib stets auf der Suche nach neuen Erlebnissen, Erfahrungen und Dingen.

Typ Acht

Du bist nur OK, wenn du stark bist und jede Situation im Griff hast. Lass nie zu, dass andere das Sagen oder die Kontrolle über dich oder die Situation haben!

Typ Neun

Du bist nur OK, wenn es den Menschen um dich herum gut geht, und daran musst du arbeiten. Deine eigenen Bedürfnisse sind nicht so wichtig.

Was können wir dem Kritiker in uns entgegen halten?

Solche permanenten Botschaften unseres inneren Kritikers müssen wir hinterfragen. Solange wir uns fortwährend anstrengen, ihnen zu folgen, werden wir genau jenes Ziel verfehlen, das wir damit zu erreichen hoffen: nämlich ein Gefühl von innerem Frieden und Erfüllung zu erlangen.
Besser ist es, mit dem inneren Kritiker in einen „Dialog“ zu treten, um einen Ausgleich zu seinen kategorischen Forderungen zu schaffen. Riso / Hudson (Die Weisheit des Enneagramms) schlagen dafür folgende mentale Haltung für jeden Typ vor:

Mentale Grundhaltungen für jeden Typ

Typ Eins: Vielleicht haben auch die anderen Recht. Vielleicht habe ich ohnehin schon alles getan, was ich tun konnte.

Typ Zwei: Vielleicht kann das jemand anderer tun. Vielleicht kann ich mir selbst auch einmal wieder etwas Gutes tun.

Typ Drei: Vielleicht muss ich gar nicht immer der/die Beste sein. Vielleicht akzeptieren mich andere einfach so, wie ich bin.

Typ Vier: Vielleicht bin ich nicht der einzige Mensch, der diese Gefühle kennt. Vielleicht entspricht so viel Drama gar nicht meiner wahren Natur.

Typ Fünf: Vielleicht muss ich gar nicht mehr als die anderen wissen. Vielleicht muss ich meine Bedürfnisse nach Rückzug und Privatheit gar nicht so nachdrücklich verteidigen.

Typ Sechs: Vielleicht kann ich mich auf mich selbst und meine Ansichten verlassen. Vielleicht muss ich gar nicht über alles nachgrübeln, was einmal ein Problem sein könnte.

Typ Sieben: Vielleicht muss ich im Augenblick gar nicht woanders sein. Vielleicht verpasse ich gar nichts Interessantes.

Typ Acht: Vielleicht muss ich meine Schotten nicht so dicht machen. Vielleicht kann ich auch einmal zulassen, dass mein Herz mehr berührt wird.

Typ Neun: Vielleicht sollte ich meine eigenen Bedürfnisse besser kennenlernen. Vielleicht besitze ich genug Kraft, um meine UND die Bedürfnisse der anderen zufriedenzustellen.

Der innere Kritiker ist seit langer Zeit Teil unserer Persönlichkeitsstruktur. Es braucht Zeit, ihn „erwachsen“ zu machen. Und es braucht Entschlossenheit, Achtsamkeit und Ausdauer. Für einen „Quick Fix“ ist er leider nicht zu haben!